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„Ich bin Ersthelfer aus Überzeugung. Klar ist es doof, wenn ich gerade mit der Familie beim Grillen oder mit Freunden zusammensitze und das Handy klingelt. Aber für mich ist es keine Frage, dass ich mein Essen stehen lasse und zum Einsatz fahre“, erzählt Christian Urban.
Im Alltag arbeitet er in unserer Automatenwerkstatt. Aber als ausgebildeter Erstbetreuer unterstützt er andere Mitarbeiter*innen, zum Beispiel nach Unfällen. Das Ehrenamt liegt ihm im Blut, in seiner Freizeit engagiert er sich unter anderem bei der Wasserwacht. Außerdem haben ihn seine Erfahrungen aus dem Berufsalltag bestärkt, Erstbetreuer zu werden: „Ich habe früher in der Straßenbahnwerkstatt gearbeitet. Bevor es die Erstbetreuer bei uns gab, kamen manchmal Fahrer bei uns an, die nach einem Unfall ihr Fahrzeug austauschen wollten. Sie hatten alles mit der Polizei geklärt, waren mit dem Zug, mit dem sie einen Unfall gehabt hatten, zum Teil noch durch die halbe Stadt gefahren – alles alleine. Man hat ihnen angemerkt, dass sie das mitnimmt.“
Bei seinen Einsätzen kümmert sich Christian Urban ausschließlich um die Kolleg*innen, zu denen er gerufen wurde, nichts anderes. Er sorgt dafür, dass sie sich – selbstverständlich in Absprache mit der Polizei – vom unmittelbaren Unfallort etwas entfernen, um für ein paar Minuten den Kopf frei zu bekommen, lässt sie bei der Befragung mit der Polizei nicht alleine, und wenn die Fahrerin oder der Fahrer selbst verletzt sind, begleitet er sie zum Arzt.
Erstbetreuer sein ist nicht für jeden geeignet
„Für mich hört ein Einsatz erst auf, wenn ich die Kollegen nach allen notwendigen organisatorischen Schritten gut nach Hause gebracht habe. Dabei bekommt er auch mit, dass es nicht immer große, dramatische Unfälle sein müssen, die seinen Kollegen zu schaffen machen und sie im ersten Moment in Schock versetzen. „Manchmal ist es der Tropfen auf den heißen Stein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der fünfte kleinere unverschuldete Unfall mit Blechschaden, eventuell mehrere davon an der gleichen Stelle oder innerhalb kurzer Zeit – jeder für sich ist nicht schlimm, in Summe ist es aber einer zu viel“, erklärt Urban.
Gerade in solchen Situationen hilft es, dass die Erstbetreuer aus den eigenen Reihen kommen. Christian Urban hat einen Straßenbahn-und einen Lkw-Führerschein. Er weiß deshalb, wie große Fahrzeuge in bestimmten Situationen reagieren. „Da hat es mehr Gewicht bei den Fahrern, wenn ich sage, dass sie etwas nicht verhindern konnten. Denn sie wissen genau, dass ich verstehe, wovon sie reden.“ Christian Urban räumt ein, dass das Erstbetreuer-Amt sicherlich nicht für jeden etwas ist. „Wer zartbesaitet ist, für den wäre es in manchen Situationen sicherlich schwierig. Aufgrund meiner Erfahrungen aus dem Rettungsdienst habe ich damit aber keine Probleme.“ Und so zählt für ihn am meisten, dass sein Einsatz viel bewirkt: „Ich bekomme oft die Rückmeldung, dass mein Da-Sein und Dabei-Bleiben den Kollegen eine große Hilfe war. Und das ist für mich auch das Wichtigste an diesem Ehrenamt. Ich mache es gern.“
Selbstverständliche Hilfe im Ernstfall
„Verkehrsunfälle mit Bussen und Bahnen ereignen sich häufig. Meistens, weil Autofahrer Verkehrsregeln missachten. Leider gibt es auch Fälle von gewalttätigen Übergriffen auf unsere Mitarbeiter*innen. Unfälle oder Übergriffe lassen sich nicht vermeiden. Jeder kann nachvollziehen, dass dies belastende und traumatische Erlebnisse sein können. Daher haben wir bei uns ein lückenloses Konzept für eine Erst- und Nachbetreuung“, erklärt Horst Osterrieder aus dem Betriebsleiterbüro. Noch vor Ort übernehmen entsprechend ausgebildete Erstbetreuer die Betreuung und Unterstützung. Dabei sind sie nur für den betroffenen Mitarbeiter zuständig. Um alles Weitere – etwa die anwesenden Fahrgäste oder die Verkehrslenkung – kümmern sich andere. Die Alarmierung erfolgt unter bestimmten Voraussetzungen automatisch, etwa wenn bei einem Unfall Menschen schwer verletzt sind. Bei leichten Unfällen fordern wir nur auf aktiven Wunsch des Betroffenen ein Erstbetreuer an.
„Wir arbeiten seit 2006 mit ehrenamtlichen Erstbetreuern aus den eigenen Reihen. Das hat sich bewährt. Die Erstbetreuer sind Kolleg*innen, sie kennen die Abläufe. Sie können sich einfach besser einfühlen, oft schon aufgrund eigener Erfahrungen. Das erleichtert es den Betroffenen, sich auf den Erstbetreuer einzulassen. Sie sind im Betrieb voll anerkannt“, ergänzt Osterrieder. Falls auch eine Nachbetreuung nötig ist, erfolgt diese durch medizinisches Personal, in jedem Fall beim Betriebsarzt, aber auch in Kliniken. Das Angebot ist breit gefächert: vom einfachen Gespräch bis zur Vermittlung an einen externen Psychologen bei einem Trauma. „Die Erst- und Nachbetreuung ist aber nicht nur medizinisch und psychologisch begründet. Im Vordergrund steht für uns tatsächlich das klare Zeichen an unser Personal: Wir schätzen Dich und Deine Arbeit wert und wenn etwas passiert, ist jemand für Dich da und hilft Dir“, so Osterrieder.
Schon ein Gespräch kann helfen
Individuelle Nachsorge für alle, damit Mitarbeiter nach einem Unfall oder einem anderen potenziell traumatischen Erlebnis, auch nachdem der Einsatz des Erstbetreuers beendet ist, nicht alleingelassen werden. Dabei immer fest mit im Boot: der Betriebsarzt. Anja Feiertag vom Centrum für Arbeitsmedizin weiß: „Jeder Fall ist anders. Jeder Mensch ist anders, lässt einen Zwischenfall mehr oder weniger an sich heran.“ Entsprechend individuell ist das Angebot. „Manchen reicht tatsächlich schon ein kurzes Gespräch. Es gibt den Beschäftigten das Gefühl, dass ihnen jemand zuhört und sich kümmert, und damit geht es ihnen besser. Für andere ist es notwendig, sie an einen Facharzt zu vermitteln und über eine längere Zeit psychologisch zu betreuen“, erklärt sie. Das sei nicht nur abhängig von der Person, sondern auch von der Art des Ereignisses. Die Kombination bestimmt, was für einen Mitarbeiter gerade wichtig und richtig ist.
Bei bestimmten Zwischenfälle werden alle beteiligten Mitarbeiter mit dem Angebot einer Nachbetreuung angeschrieben. Zum Beispiel auch die Verkehrsmeister, die vor Ort die Unfallstelle abgesichert haben, oder Werkstattmitarbeiter, die im Nachgang am Fahrzeug arbeiten. „Es gibt Mitarbeiter*innen, die dieses Angebot wiederholt ausschlagen. Das ist für uns okay. Wichtig ist, dass das Angebot da ist, denn das ist keine Selbstverständlichkeit. Und dass alle wissen, dass sie jederzeit auf uns zukommen können.“ Für Fahrer*innen ist bei schweren Ereignissen der Besuch beim Betriebsarzt Pflicht. Nur so kann die Diensttauglichkeit geprüft werden. Allerdings steht das Angebot allen, auch ohne direkte Verknüpfung an ein tragisches Ereignis, offen. „Manchmal sind es auch vermeintlich harmlose Fast-Ereignisse, die – gerade wenn sie sich häufen – einen Mitarbeiter belasten können“, berichtet Anja Feiertag.
Autorin: Stefanie Dürrbeck
Foto: Claus Felix
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