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17. August 2023: Der Steinbühler Tunnel in Nürnberg wird überflutet. Eine Straßenbahn hält noch rechtzeitig, aber das Wasser steigt. Jetzt fährt sie wieder.
Land unter, Tram unter, Tram im Wasser. Der 17. August 2023, ein Donnerstag, war in Nürnberg wie in Teilen der Metropolregion heftig. Der Himmel machte die Schleusen auf. Ein Gewitter ließ binnen kurzem nicht nur Keller und Tiefgaragen volllaufen, sondern auch Unterführungen. Darunter der Steinbühler Tunnel, der bis dahin bei heftigem Niederschlag nicht von sich reden gemacht hatte. Anders an diesem Tag.
Werkstatt-Meister Tobias Reif erinnert sich
„Den Tag werden wir so schnell nicht vergessen. Ich war privat in der Stadt unterwegs. Von jetzt auf gleich Weltuntergangsstimmung. Vom Himmel kamen Unmengen von Wasser“, erinnert sich Tobias Reif, VAG-Meister in unserer Straßenbahnwerkstatt. „Ich habe sofort in der Werkstatt angerufen. Dort waren zu dem Zeitpunkt schon erste Meldungen eingegangen. An der Haltestelle Landgrabenstraße stand beispielsweise eine Straßenbahn, die wegen der Wassermassen technische Probleme hatte. Bei anderen waren die Scheibenwischer durch die Wassermassen kaputt gegangen, bei anderen Klappen aufgedrückt und abgerissen worden. Da erreichte das Werkstattteam der Hilferuf aus dem Steinbühler Tunnel. Nur wie hinkommen, wenn wegen Stau und Überflutung kein Hinkommen möglich war.“
Keine Chance: Tram lief voll Wasser
Die Bilder bleiben im Gedächtnis. Tobias Reif konnte nicht anders und zückte das Handy zur Dokumentation.
Drei Autos standen im Steinbühler Tunnel schließlich bis fast unters Dach im Wasser und auch eine unserer Straßenbahnen, vom Plärrer kommend, lief schließlich voll Wasser. Das Wasser stieg derart schnell, dass weder die Autofahrer*innen noch die Tramfahrerin eine Chance hatten. Dabei hatte die Tramfahrerin noch vor dem eigentlichen Tunnelbereich, im vermeintlich sicheren, nicht überfluteten Bereich, angehalten und erkannt, dass der Tunnel auch für die Straßenbahn nicht mehr passierbar sein würde. Sie wollte gerade mit der Leitstelle vereinbaren, dass sie die Tram wieder zurück Richtung Haltestelle Kohlenhof fahren würde, doch da es kam anders: Aus Sicherheitsgründen musste der Fahrstrom auf Anweisung der Feuerwehr sofort abgeschaltet werden. Schließlich waren die Menschen aus den Autos im Tunnel noch nicht geborgen.
Ungläubiges Staunen: Tram im Wasser
Das Bild, das sich den Kollegen der Straßenbahnwerkstatt bot, erzeugte ungläubiges Staunen. Bis etwa zur Wagenmitte stand die Straßenbahn im Wasser. Das hatte es in Nürnberg noch nicht gegeben, jedenfalls nicht in der jüngeren Geschichte.
Was tun mit der gefluteten Straßenbahn?
Das Team unserer Werkstatt holte die geflutete Straßenbahn mit dem Unfallhilfswagen, einem Unimog, aus dem Wasser und zog sie in den Betriebshof.
Dort haben die Kollegen zunächst alle Klappen und alle Türen geöffnet sowie das Fahrzeug innen oberflächlich getrocknet. Soweit die Erste-Hilfe-Maßnahme. Aber dann? Das Team der Werkstatt entschied sich, das Fahrzeug erst einmal stehen zu lassen und darauf zu hoffen, dass die sommerlichen Temperaturen das Ihre dazu beitragen würden, dass das Wasser „verdampfen“ würde.
Auf den Spuren des Wassers
Stephan Bengl, als Meister zuständig für die Fahrzeugmontage: „Wir haben alles angeschaut, überlegt, was eventuell betroffen und defekt sein könnte. Dann haben wir die Sitzgruppen, Seitenverkleidungen und Lüftungskanäle ausgebaut bzw. weitestgehend geöffnet. Die Elektriker haben den Fahrerstand unter die Lupe genommen und ebenfalls so weit als möglich rückgebaut. Der vordere Wagenbereich war bis etwa zur Mitte unter Wasser gestanden. Unterschiedlich hoch, weil die Straße zur Tunnelmitte hin abfällt. Wir haben den Fußboden an verschiedenen Stellen angebohrt, um zu sehen, wie es unter dem Belag aussieht.“
Stromlos wegen des Wassers
Tobias Schneider, zuständig für die Werkstätten für Schienenfahrzeuge, ergänzt: „Zwischen Holzfußboden und Aluminiumwanne stand das Wasser, wir mussten den Wagen hydraulisch kippen, damit dieses besser ablaufen konnte. Auch die Aluminiumträger sind voll Wasser gelaufen. Das Wasser findet seinen Weg, wie wir mittlerweile wissen.“
Für Tobias Reif war von Anfang an klar, die Bahn musste vorläufig stromlos bleiben. „Wir haben alle elektronischen Bauteile ausgebaut, geprüft, ersetzt oder instandgesetzt. Das war viel Arbeit.“
Nach der Flutung monatelanges Trocknen
Wie sich zeigte, sollte der Trocknungsprozess – trotz anfangs sommerlicher Temperaturen – dauern. „Wir haben uns gleich am 18. August ein Trocknungsgerät organisiert“, berichtet Reif. Das Fahrzeug wurde mehrfach gewogen. Die Kollegen der Werkstatt wissen, was die Bahn ohne Wasser wiegen darf. Rund 300 Kilogramm hatte sie anfangs mehr – alles Wasser. Trotz aller Anstrengungen war im Januar noch nicht alles Wasser draußen.
Ein letztes Reservoir Wasser
Bei den ersten Fahrten auf dem Probegleis im Januar war deutlich zu hören, dass im vorderen Bereich des Fahrzeuges noch ein Wasserreservoir vorhanden war. In einer kalten Nacht Ende Januar wurde die Bahn ins Freie gestellt und am nächsten Tag mit einer Wärmebildkamera überprüft, wo sich das Wasser gesammelt hatte. Das Werkstattteam griff schließlich nochmals zum Bohrer und konnte zusehen, wie der letzte Rest Hochwasser erneut als sichtbarer Wasserstrahl aus dem Fahrzeug floss.
Hochwasser-Tram wieder im Einsatz
Tobias Reif und Stephan Bengl sind froh, dass die Bahn Mitte Februar endlich wieder an den Betrieb übergeben werden konnte. Was für ein Aufwand, erinnert sich Bengl: „Wir mussten die Tram gründlich reinigen lassen, quasi bis in die letzte Ritze. Das war ja kein klares Regenwasser, sondern eine braune Brühe, die mit Wasser aus dem Oberflächenkanal gemischt war. Für die Belüftungsschläuche beschaffte die Putzfirma spezielle Bürsten. Die Schläuche mussten desinfiziert werden“, berichtet Stephan Bengl.
Sein Kollege Tobias Reif ergänzt: „Es war sehr viel Arbeit, ohne dass wir wissen konnten, ob wir erfolgreich sein würden. Erst alles ausbauen, reinigen, prüfen, alles wieder einbauen, prüfen, Fehler suchen. Und bei all dem sitzt einem gefühlt der Betrieb im Nacken. Gerade in den vergangenen Monaten gab es zu viele Unfälle. Meist linksabbiegende Autofahrer*innen, die unseren Bahnen die Vorfahrt genommen haben. Und dazu die regulären Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten, die Inbetriebnahme unserer neuen Avenios.“
Gutes Ende: Tolle Teamleistung
Nach sechs Monaten ist deshalb die Erleichterung groß. Arbeit erledigt. Bahn vor der Verschrottung gerettet. Tobias Reif hofft, dass Nürnberg nicht so schnell wieder von einem derartigen Regenguss betroffen ist, wenn er auch angesichts des Klimawandels wenig zuversichtlich ist. Worauf er aber im Rückblick stolz ist: „Bei solch extremen Ereignissen zeigt sich, wie eingespielt das Team der VAG ist. Alle haben wir wieder einmal an einem Strang gezogen. Die Leitstelle, der Fahrdienst, die Kolleg*innen der Servicedienste und die Werkstatt. Bis weit nach Mitternacht waren wir am 17. August vergangenen Jahres beschäftigt, die Folgen zu beheben. Mein Chef Thomas Luber hat spontan einen Zug von einem Fahrer übernommen, dessen Ablösung wegen des Unwetters nicht pünktlich vor Ort war. So muss es sein. Ein eingespieltes Räderwerk. Dann sind auch extreme Ereignisse zu bewältigen.“
Text: Elisabeth Seitzinger
Fotos 17. August 2023: Tobias Reif
Fotos Werkstatt: Claus Felix
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